Und schon wieder ist ne Woche vorbei


Wie ihr seht, habe ich diese Woche nichts Neues gepostet. Das heißt einfach nur, dass ich meine Energie in das Leben hier gesteckt habe. Wieder mal eine Zusammenfassung,

Montag



Am Montag habe ich endlich mit dem Storyboardzeichnen angefangen. Das hat mir zugegebener Maßen sehr viele Kopfschmerzen bereitet. Stundenlang hatte ich mich in meinem Zimmer vergraben und an meinem Bleistift gekaut. Es ist macht schon einen riesigen Unterschied, ob die Geschichte auf dem zahmen Papier spielt oder in den vor Leben überquellenden Straßen der Stadt. Ich musste zusätzliche Faktoren wie die Gefährlichkeit des Ortes, Autos und zeitliche Erreichbarkeit berücksichtigen... was aus mangelnder Erfahrung gar nicht so leicht ist. Schließlich habe ich mich einfach dafür entschieden,  meine "Reisbrett-Planung" über den Haufen zu werfen. Ich stieg direkt mit dem Zeichnen der großen Figuren los. Das Storyboard muss sich dieses Mal spontan meinen Erfahrungen draußen anpassen. Klingt vielleicht ein bisschen abstrakt – ist aber für mich gerade eine ganz schön harte Kopfnuss.

Dienstag 

 

Nachdem ich mich im Atelier eingerichtet hatte und in einem Papierhaufen versunken bin, wollte ich um ca. 1 Uhr nachts noch eine gemütliche um den Block Runde drehen. Die brummigen Warnungen des Wachmanns ignorierend bin ich auf die Straße und kam mir plötzlich wie im falschen Film vor: nämlich fast so wie bei "28 Days Later" ( Zombiefilm). Die gleichen Straßen, die ich tagsüber gemütlich mit Flip-Flops entlang latschte, waren plötzlich merkwürdig leer gefegt. Die einzigen Gestalten die herum schlurften, hatten tatsächlich etwas von Zombies an sich. Es lag so eine unangenehme Stille in der Luft, dass ich nach kaum 100 Metern wieder zurück in den "sicheren Käfig" des Goetheinstituts kroch. Jedes Mal haut es mich von den Socken, wie stark die Stimmung hier umschlagen kann. Ich erfuhr ganz nebenbei, dass in der vergangenen Woche am Samstag Abend ein Schusswechsel (mit der Polizei?) in der unmittelbaren Nähe des Platzes in Pelourinho stattfand. Also dort, wo wir uns nach dem Volksfest aufgehalten hatten. Ein anderes Mal ist es mir passiert, dass ich fälschlicher Weise den Alarm im Gebäude ausgelöst hatte und plötzlich das ganze Institut wie eine Rakete vor der Selbstzerstörung piepte.  Ich dachte, dass ich mich inzwischen daran gewöhnen könnte .... aber all dies beeinflusst meine Bewegung in der Stadt maßgeblich. Oder wann wart ihr das letzte Mal unterwegs, habt auf die Uhr geschaut und Euch gefragt, ob es noch geht oder schon zu spät ist?


Mittwoch



Jedes Mal bevor ich ins Fitness Studio gehe, nehme ich mir ein bisschen Zeit und setze mich auf die Bank vom Obsthändler um die Ecke. Während die älteren Männer Domino spielten, verkaufte mir ein zehnjähriger Junge meine tägliche Ration Bananen und Papayas. Ich fühlte und fühle mich an diesem Ort sehr zu Hause. Während der kleine krisselige Fernseher irgend eine Polizeivervolgungsjagt in Sao Paulo zeigte, fielen mir plötzlich ein paar Details ins Auge. Zum Beispiel, dass hier tagsüber überall kleine Paradiesvögel auf den Telefonleitungen herum zwitschern, währenddessen nachts in den gleichen Bäumen Fledermäuse nisten. Oder, dass es hier eine eigene Kirchenfernsehsendung namens Curo (heilen) gibt, in der ein Priester mit einem silbernen Mikrophon feierlich in der Kirche auf gebrechliche Opas zustapft, welche dann ihre Krücken stolz in die Luft halten und Gott für die Heilung danken. Das Fitnessstudio ist auch so eine Parallelwelt für sich. In der abgedunkelten Halle die nur durch Kunstlicht erhellt wird, befinden sich mehrere  ca. 10 x 10m große Glaswürfel. Darin üben gemischte Gruppen Street-Tänze. Sowohl die Mädels als auch die Kerle haben einen beeindruckenden Hüftschwung. Von außen aus betrachtet sieht es so aus, als ob man ein paar Spielzeugpuppen beobachtet, die sich alle synchron bewegen... Aber irgendwie passt der Körperkult auch perfekt nach Brasilien. Zumindest werde ich den Eindruck nicht los, dass hier jede*r zeigt was er oder sie hat. Für mich ist das Fitnessstudio rein mental gesehen gerade unglaublich wichtig. In Momenten von Frustration oder Einsamkeit kann ich diese Gefühle hier schnell wieder abschütteln und die regelmäßigen Termine strukturieren meine Woche. Außerdem sind die Trainer wirklich nett. Auch wenn ich den Eindruck habe, dass sie sehr lange Arbeitsstunden haben.

Donnerstag

 

Am Donnerstag sind wir zu einer kleinen Hausfeier von Maria eingeladen worden. Aus Respekt vor den Menschen dort habe ich keine Fotos gemacht – außer vom Buffet. Alles was nach Kuchen aussah, war entweder mit Hähnchen oder Fisch zubereitet. Mein persönlicher Favorit waren die in Bananenblätter eingewickelte Kokosnus... Chreme ....Mischung. Das Essen war genau so bunt zusammen gemischt wie die Leute. Neben Erwachsenen wimmelte es nur so von Kindern. Sie hüpften und plärren fröhlich bis spät in die Nacht durch die Wohnung und niemand schien sich daran zu stören. Anfangs musste ich mir ein bisschen die Ohren zuhalten um gegen den Lautstärkepegel anzukommen – aber mit der Zeit habe ich mich dran gewöhnt. Kinderfreundlichkeit ist überall wo ich bis jetzt war ganz selbstverständlich. Keine der Familien hat nach dem Abendessen die Segel gestrichen und ist nach Hause gegangen. Kinder gehören hier einfach dazu, ohne dass die Eltern mit übertriebener Sorge um sie herumschwirren.  Ich nutzte die Gelegenheit ein paar stümperhafte portugiesische Unterhaltungen zu führen. Und siehe da, mit  Händen und Füßen ging das ganz gut – sogar mit einigen Personen, die überhaupt kein Englisch sprechen konnte.
Außerdem habe ich meine ersten Caipirinhas gemixt und das anscheinend ganz gut. Zumindest haben sie auch ihren Teil zur Belustigung des Abends beigetragen. :-) Mir tut das gerade unheimlich gut mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Ich muss es irgendwie öfter schaffen mal alleine fort zu kommen ... auch wenn mir die Sprachbarriere wirklich immer noch sehr zu schaffen macht. Es ist schon ein frustrierendes Gefühl, sich inmitten einer Menschengruppe zu befinden, in der sich alle perfekt verständigen können ... und dann immer diejenige Person zu sein, die in Englisch anfängt jemanden anzulabern.  Naja, so ist das eben.

Samstag
Am Abend spielte ein Blues-Sänger unten im Café kitschige Klassiker und plötzlich überfiel mich das Heimweh wie ein Ninja mit einem Giftdolch. Ich dachte an meinen Bruder, meine Famile und meine verflossene Beziehung. Plötzlich hatte ich überhaupt keinen Bock mehr auf fremde Menschen. Jeder der mal länger in der Ferne war, kennt das bestimmt. Aber sich zu vergraben ist in so einem Fall meist nicht so clever, auch wenn es sehr schwer fällt über den eigenen Schatten zu springen.  Sonst verpasst man so einiges –  zum Beispiel die Welcome-Party,  welche der Goethe-Chef extra für uns Residents veranstaltete.

Seine Wohnung befand sich im Dachgeschoss in einem gut bewachtem Hochhaus und erstreckte sich über zwei Etagen. Inklusive Dachteerasse und riesigen ... Raumtrenner ... Drehflügeltüren. Uns wurde im Vorhinein schon gesagt, dass die Mitarbeiter*innen Leute aus der Kunst/und Kulturwelt eingeladen hätten, welche für uns interessant sein könnten. Alle tummelten sich um ein üppiges Buffet. Viele der Gesichter erkannte ich gleich auf den ersten Blick wieder, darunter auch einige  Graffiteiros.
Ich muss gestehen, dass ich mich immer noch sehr schwer tue, als "der Graffitikünstler aus Deutschland" vorgestellt zu werden. Auch war Smalltalk noch nie mein Ding.... ich vergrabe mich lieber wie Gollum in meiner Höhle, produziere dort Sachen und lass diese dann für mich sprechen. Aber nein – die Leute wollen natürlich immer die Person hinter der Arbeit sehen, die Kunst wird  eher zum dekorativen Gesprächsinhalt.  Tatsächlich hat dieser Abend mir aber einige neue Türen geöffnet und ich klopfe mir nachträglich auf die Schulter, dass ich so gut ich konnte über meinen Schatten gesprungen bin. So kann ich evtl. in der kommenden Woche mit einigen Sprühern "um den Block" ziehen. Auch in Gegenden, die für mich alleine zu gefährlich wären. Und vielleicht kann ich sogar eine Familie treffen, die sich schon über Generationen ganz der naiven Kunst verschrieben hat. Bis jetzt sind das alles nur Worte .... mal schauen, was ich davon wirklich schaffe.

Die interessanteste Unterhaltung hatte ich mit einem lokalen Architekturprofessor geführt. Er erzählte mir, wie in der Stadt Mitte der 80er überall große Shoppingmalls eröffnet wurden, welche das Straßenleben buchstäblich von der Straße gefegt hätten. Erst ein Gesetz, welches den Ladenraum im Erdgeschoss  der Gebäude zu günstigeren Konditionen vermieten ließ, führte langsam eine Kehrtwende herbei. Er sprach sich auch offen gegen die Verklärung der Favelas aus. So meinte er, dass diese unter brasilianischen Akademikern schon so etwas wie einen romantischen Kultstatus hätten. Dabei vergießen diese nur zu gern, dass es neben dem Zusammenhalt dort hauptsächlich ums nackte Überleben ginge. Der Drogenkampf sei immer noch am Brodeln. Und im Notfall können durch die informellen Siedlungen oft keine Krankenwagen fahren.
Unsere Unterhaltung wurde unsanft von Latinopop unterbrochen. Teil jeder brasilianischen Feier scheint wohl das ... körperbetonte Tanzen zu sein. Egal ob schmusig, kitischer Paartanz oder "schüttel alles was Du hast" Popmusik. Für mich als Tanzmuffel erster Güte sind das riiiiiiiichtig schlechte Karten. Als Felix – angeheitert – durch den Raum zu mir herüber schwebte, regten wir uns einen kurzen Moment gemeinsam köstlich über Latinopop auf, zur gleichen Zeit entwickelte sich oben am Treppengeländer so eine Art ... Girlgroup ...Tanz...Session. Felix empfahl mir einen selbstgemachten  Ingwerlikör. Langsam zog sich der Stock aus meinem Arsch – vielleicht besteht doch noch Hoffnung. Ich versuchte mir alle Menschen als Affen vorzustellen. Vielleicht fällt es mir dann auch leichter mich selbst zum Affen zu machen und das auch zu genießen.

Sonntag
Es hatte den ganzen Tag geregnet. Und zwar wirklich den ganzen Tag. Nicht wirklich was zu berichten, außer wenn ihr was über Kunst hören wollt. Neeeee muss nicht sein, nicht am Sonntag.


Kommende Woche
Die kommende Woche startet Montags mit zwei kurzen Interviews, die ich mit lokalen Graffiteiros führen möchte. Ich bin gespannt... Außerdem habe ich nun schon viele Papierbilder produziert, die ich in der Stadt kleben möchte. Dann wird sich zeigen, ob sich die ganze Arbeit gelohnt hat. Ich bin ich zum Sprühen verabredet.... Am Dienstag um 8 Uhr morgens. Was das werden soll, weiß ich noch nicht. Vielleicht schaffe ich es am Dienstag auch zu einer Sambaveranstaltung, Abends. Mittwoch zeigt die indische Künstlerin Subashi einen Film, auf den ich mich schon sehr freue.
Und last but not least möchte ich einfach mehr rauskommen. Die Verlockung sich hier im Atelier zu vergraben wird natürlich umso größer, je mehr Arbeit es gibt. Und es wird ja tendenziell eher mehr. Da muss ich wohl noch so einige Male über meinen Schatten springen.





















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