Herumstreunern für Fortgeschrittene

 
Der zweite Herumstreunertag fühlte sich weitaus zahmer an, als der erste. Lag es an den Sandalen die ich heute trug? (hässlich aber praktisch) Oder einfach nur an meiner inneren Einstellung? Jedenfalls wanderte ich weitaus geschmeidiger durch die überfüllten Straßen der Stadt. Auch warnten mich meine Instinkte deutlich zuverlässiger vor zwielichtigen Gassen als gestern. Überraschungen gab es natürlich trotzdem.

So landete ich plötzlich auf der Ramscheinkaufstraße schlechthin (man beachte bitte das Bild vom Laden mit Plastikblumen) und mühte mich eine gefühlte Ewigkeit ab, einer Frau bei der Bushaltestelle auf Pseudo-Portugiesisch wertvolle Fahrplaninformationen zu entlocken. Das klappte überhaupt nicht – führte aber dazu, dass ein wild entschlossener Mann mich am Arm packte und wie ein Paket beim Busfahrer abgab. Dieser wiederum hielt irgendwo halbwegs an der Hochstraße und gestikulierte auf die entgegengelege Seite, wo angeblich der nächste Bus losfahren sollte. Seine Anweisungen getrost ignorierend stapfte ich los und landete plötzlich direkt vor einem Favelagebiet. Anders als in Rio befinden sich diese nicht auf gut sichtbaren Anhöhen, sondern mitten im Stadtkern. So kann es plötzlich passieren, dass rechts von Dir jemand auf die Straße kackt und links ein Angestelltenpärchen mit Anzug seelenruhig die Gasse entlang spaziert. All das existiert gleichzeitig – wenige Blocks voneinander entfernt.
Ich entschied mich für das Angestelltenpärchen und landete plötzlich auf einer Art Wochenmarktgasse. Dickbäuchige strohhuttragende Verkäufer gestikulierten wild im Eingang Ihrer Läden und brüllten in ein Mikrophon, welches von einer knarzenden Lautsprecherbox verstärkt wird. Verschiedenste fruchtige Gerüche mischen sich mit den Abgasen zu einer ganz eigenen Melange. Ich fühlte mich plötzlich sehr wohl.
Wie glücklich ich bin, dass ich gerade ohne meine dicke Kamera durch die Straßen ziehe! Was müsste ich für eine Angst im Menschengetummel um den großen Klunker haben. Da ist ein Smartphone doch viel angenehmer. Und die Bilder sind doch ganz passabel, findet Ihr nicht?

Künstlermarkt
Am Abend schleppte uns Maria vom Goethe-Institut auf einen "Self Printing Press Fair".
Muhamed – der andere Resident, welcher eine Begeisterung für moderne Architektur hat – bemerkte sofort die Betonkonstruktion, die aus dem representativen Kulturpalast ragte. Der Künstlermarkt selbst  fand im Freien statt. Präsentiert wurden Illustrationen, selbstgemachte Notizbücher  und Tshirts. In erster Linie ist diese Veranstaltung als Netzwerktreffen gedacht – was in meinem Fall durch die Sprachbarriere etwas schwierig ausfiel. Trotzdem gab es sofort ein paar Künstler*innen, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Zum Beispiel eine Sprayerin, die unterhaltsame, dreist  feministische Motive in die Stadt setzt. Ich nutzte meinen "Pseudo-Botschafter Status" aus, um sie zu einem Videointerview zu überreden. Das energische Mädchen willigte sofort ein. (Hoffentlich hilft mir Maria dann auch beim Dolmetschen. Sonst wäre ich ziemlich aufgeschmissen!)
Dieser Markt spornte kräftig meinen Ehrgeiz an. Viele der Zeichnungen der Künstler*innen hatten etwas ungemein Einladendes und handwerklich Liebevolles an sich. Aufgeblasene Künstleregos habe ich bis jetzt noch nicht entdeckt. Stattdessen wirkte die Szene sehr familiär auf mich – zumindest so weit ich das auf den ersten Blick beurteilen konnte. Da komme ich mir als eingeflogener "Grafitero" schon ein bisschen überflüssig vor. Was kann ich dieser Stadt schon geben, was sie selbst noch nicht hat? Gute Zeichner hat sie jedenfalls zur Genüge. Naja, dann versuche ich das eben als Ansporn zu betrachten. Oftmals ergeben sich ja gerade durch den Austausch eine neue Möglichkeiten. Wer weiß.

Nun sitze ich hier am Freitag Abend im kargen Designerzimmer mit den weißen Wänden. Während unten im Goetheinstitut irgend eine Tanzveranstaltung plärrt, fühle ich mich hier drinnen einsam und auch ein bisschen entwurzelt. So sehr auch das Leben da draußen tobt, so wenig hat es doch gerade etwas mit meinem inneren Zustand zu tun. Ich wünschte, ich befände mich in meinem gewohnten Habitat. Stattdessen führe ich gerade eher die Existenz einer Topfpflanze.
Der kleine, genügsame Kaktus neben meinem Laptop schweigt gelassen.








































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