Der kurze lange Weg aus der eigenen Blase



Gestern Abend wollte ich nicht wieder im Institut versacken. zum Glück braucht es manchmal nur einen kleinen Schritt, der einen aus der eigenen Blase führt.

Neue Gesichter
Als ich gestern die Küche betrat, waren da plötzlich zwei neue Gesichter: Shuba und Ihr Mann/Freund? Jawahr sind gerade aus ihrer indischen Heimat eingetroffen und kämpften noch sichtlich mit dem Jetlag. Für mich waren die beiden eine willkommene Überraschung, da mir die Küche in den letzten Tagen leer und befremdlich vorkam. Schnell vertieften wir uns in ein oberflächliches Gespräch und so konnte ich Ihnen einige Details Ihres Aufenthalts entlocken: Shuba ist eine indische Filmemacherin die hier in Salvador ein kleines Filmhappening organisieren möchte. Ihr Mann ist Rechtsanwalt und begleitet sie auf Ihrer Reise. Beide schnitten ihr Gemüse in Zeitlupengeschwindigkeit.

In der eigenen Blase
Ich verabschiedete mich von den beiden und pilgerte daraufhin zum Strand, um meinen Kopf ein bisschen frei zu bekommen.
Perfektes Badewetter.
Überall um mich wandelten gemütlich die Touristenpärchen. Muskulöse Bodybobos rollten auf Longboards über den Asphalt. Straßenverkäuferinnen boten Kokusnüsse und andere lokale Snacks an. Aus den Hotels dröhnte die brasilianische Version der Ballermann-Mucke. Und ständig präsent war der lange Arm des Gesetzes: die Militärpolizei patroullierte gemächlich den gepflasterten Boulevard auf und ab. In mich gekehrt latschte ich die Promenade entlang und versuchte meine Gedanken mit dem Rauschen der Wellen zu vertreiben. Normalerweise reicht das aus, um in mein Urlaubsgefühl einzutauchen – das klappte dieses Mal aber überhaupt nicht. Erst als ich mich an eine Palme setzte, mein Skizzenbuch aufschlug und zu zeichnen begann – da konnte ich wirklich abschalten. Gewissermaßen bin ich in meine eigene Blase abgetaucht.

Ich weiß nicht, warum mir diese "Residency" gerade so zu schaffen macht, aber ich kämpfe die letzten Tage tierisch mit mir selbst. Vielleicht deshalb, weil es gefühlt nicht so richtig losgehen mag. Ich mir (noch) fremd vorkomme und mir im Moment noch ein strukturierter Alltag fehlt. Vielleicht, weil ich kaum soziale Kontakte außerhalb der "Goethe-Blase" habe. Was auch immer der Grund sein mag: mir fällt es verdammt schwer abzuschalten und mich zu entspannen. Es wäre viel viel leichter für mich, wenn dieser Aufenthalt entweder strikt Urlaub – oder strikt Arbeit wäre. Aber dieser Schwebezustand, diese Eigenverantwortung – die kommt mir gerade wie eine Last vor. Der Erwartungsdruck kommt nicht von außen – sondern hauptsächlich von mir selbst. Denn die Mitarbeiter*innen des Goethe-Instituts haben mir zu verstehen gegeben, dass es Ihnen gar nicht in der ersten Linie um eine ergebnisorientierte Arbeit geht. Alles wäre viel leichter, gäbe es da nicht meinen Ehrgeiz. Ich möchte hier wirklich ein paar schöne Bilder produzieren.
Also saß ich alleine eine Weile auf einer Bank im schönsten Urlaubsparadies und kam mir verdammt blöd dabei vor. Zeichnete ich gerade aus Leidenschaft – oder zwang ich mich nur unnötig? War das hier nur eine Ersatzhandlung oder ein anstrengender Anlauf?

Die Kernfrage ist wohl: ist es gerade gut für mich, mich in meiner eigenen Blase aufzuhalten, oder nicht?

Am Abend wehrte sich ein Teil von mir, sich weiter abzukapseln. Ich erinnerte mich an eine lockere Verabredung mit einem Grafitero (J.) und marschierte ohne einen Moment zu zögern zum Buchmarkt.
Gut so.

Ein herzliches Gespräch mit einem Grafitero
Ich konnte mich mit J. nicht persönlich unterhalten, da er nur Portugisisch sprach. Dafür aber umso mehr mit seiner Freundin. Sie schaukelte ihr gemeinsames Baby auf den Armen und versuchte mir gewissenhaft wie eine Pressesprecherin die Gefahren und Umstände eines lokalen Grafiteros näher zu bringen. So beschrieb sie mir, dass J. nun schon seit Jahren nachts durch die Straßen zöge und sie bis zu Ihrem Baby auch gemeinsam Wände besprüht hätten. Ihre Bilder würden in der Öffentlichkeit extrem unterschiedlich wahrgenommen werden.
Da gäbe es einerseits Fans – einige davon sogar Polizisten: Wenn sie z.B. nachts von der Staatsmacht beim Besprüen eines Fußballstations (Anti Fifa WM Graffiti waren/sind sehr populär in Brasilien) ertappt werden,  sagte einer der Cops: "Ich würde sogar mit Euch malen, aber ich arbeite nunmal für den Staat. Also drücke ich mal beide Augen zu und dann seid ihr bitte später nicht mehr hier!" Aber das endete natürlich nicht immer so glimpflich. Während seiner Zeit als Grafiteros wurde J.  schon mehr als 10 Mal festgenommen. In diesen Fällen rief er routiniert einen befreundeten Anwalt an, welcher ihn oft wenige Stunden später wieder freisetzen konnte. Um über die Runden zu kommen, verkauft J. Tshirts seiner Graffitimotive. Da die Leute seine Identität nicht erfahren dürfen, gibt er sich als Angestellter des Künstlers aus. Die Shirts verkaufen sich so gut, dass sie wesentlich zum Lebensunterhalt der beiden beitragen – in der lokalen Szene ist er sehr bekannt.
Das Sprühen sei gewissermaßen ihr "Familienbusiness". Jetzt, wo das Baby da ist, passt sie nachts auf die Kleine auf, während J. von 2 Uhr nachts bis in die frühen Morgenstunden um die Blöcke zieht. Tagsüber kümmert er sich um ihr Baby, während sie arbeitet. So unterstützen sie sich gegenseitig, zumindest sagte sie das. In ihrem Bericht schwang viel Stolz mit, so als käme ein Aufhören des Sprühen niemals in Frage. Ich, der hauptsächlich Sprüher mit großem Ego und verpeilter Existenz kenne, war und bin ganz schön beeindruckt.

Die nächste Blase
Als die beiden nach Hause gingen, wehrte ich mich zum Institut zurück zu kehren.
J. sah wohl, wie ich einige Minuten nach dem Ende der Veranstaltung orientierlungslos am Tor stand und haderte. Er wies mich auf eine Folgeveranstaltung in einer Bar in St. Antonio hin und lotste mich zu einem kleinen Auto. Plötzlich saß ich inmitten von 4 mir völlig unbekannten Menschen und fuhr quer durch die Stadt. Yessss! Wie sich herausstellte, war die zierliche Frau am Steuer eine der Organisatorinnen des Grafik/Büchermarkts. Daneben saß ihr Freund – ein junger Sambatrommler.
In der Altstadt angekommen, verabschiedeten sich die beiden aber auch genau so schnell, wie ich sie getroffen hatte. Sie deutete mit der Hand eine Gasse entlang: "Da irgendwo vorne links sind die anderen. Wir kommen dann später nach." Das Abenteuer konnte beginnen!
Da stand ich also in einer Bar und versuchte mich mit Händen und Füßen zu verständigen. Leider fällt einem die Bedeutung der Sprache immer erst dann auf, wenn sie einem fehlt. Es brauchte einen Moment bis ich den Mut aufbringen konnte wildfremde Leute ohne ihre Sprache sprechen zu können anzuquatschen. Belangloser Smalltalk gehört nämlich leider nicht zu meinen Stärken. Aber ich wollte wirklich neue Leute kennenlernen und da springt man eben auch mal über seinen Schatten.
Plötzlich tauchte ein Kerl mit einer großen Brille vor mir auf und begann mich ohne Punkt und Komma zuzutexten. Er war Literaturprofessor aus Sao-Paulo und würde später noch eine "Karaokeperformance" zum Besten geben. Er berschrieb mir wie toll Sao Paulo sei, wie toll Rio sei, wie toll Salvador sei – und wie überhaupt alle Städte in Brasilien sehr sehr sehr toll seien.
Meine Augen begannen möglichst unauffällig von links nach rechts zu wandern. Wo befand ich mich hier eigentlich? Rund um uns herum erstreckten sich zweigeschössige, bunt gestrichene Kolonialhäuser. Die ganze Stadt war auf den Beinen und bei dieser Bar handelte es sich offensichtlich um eine Art Kulturtreffpunkt. Überall stolzierten aufgebretzelte (sehr hübsche) Mädels und langhaarige Typen in Lederriemensandaletten herum.
Plötzlich zog mich eine Frau beiseite, die ich schon beim Büchermarkt bemerkt hatte.
Sie stellte sich als Organisatorin eines Illustrationsfestivals vor, an dem ich angeblich hätte auch teilnehmen sollen (lange Geschichte). Wir unterhielten uns auf Französisch, da Englisch nicht unbedingt zu den üblichen Sprachen hier gehörte und die Musik plätscherte so dahin. Mit einem Schlag wirkte die ganze Szenerie sehr vertraut – der ganze Künstlergram von vorhin war wie weggeblasen.
Menschen sind scheinbar verdammt soziale Wesen – sogar ich! Da habe ich mich wohl selbst ein bisschen überrascht.

Als die Perfomance vom Literaturprofessor begann, flüchtete ich mich möglichst unauffällig auf die obere Etage. Dort befand sich eine DIY Siebdruckwerkstatt. Viele der bereits verwendeten Siebe und Plakate verzierten die Wände. Der nette Sambatrommler begleitete mich hilfsbereit und berichtete mir von Vodooritualen, an denen er angeblich teilnehme (Notiz an meinen Hinterkopf: unbedingt mal anschreiben und versuchen da hin zu kommen).

Wie ich die Treppen wieder hinunter spazierte, drängte sich plötzlich ein Bettler zwischen die Menschen. Es war keiner dieser Kerle, der sich still und heimlich an den Straßenrand setzten würde und Passanten geistesabwesend einen Becher hinhalten würde. Nein – er ging zielstrebig von Person zu Person und flehte sie eindringlich an. Als ich ihm ein bisschen Kleingelt aus meiner Tasche gab, fiel mir plötzlich auf wie selbstverständlich all diese gut gekleideten Menschen um mich herum den Bettler ignorierten. Mir war nicht klar, ob sie ihn als Junkie abstempelten oder ob es andere gute Gründe gäbe ihn zu ignorieren. Was in meinem Kopf blieb, war dieses Bild.
Schlagartig kam mir dieser Kulturtreff grotesk und unwirklich vor. Dieser zerlumpte Typ war unsichtbar für sie. Geistesabwesend ergriff ich mein Bier, torkelte davon und fühlte mich plötzlich seltsam beklemmt zwischen all den Kolonialhäusern. Mit meiner hellen Haut, meinem Suff und meinen Künstlerproblemen ließ ich mich nach Hause chauffieren – um vom schwarzen Türsteher in die Kolionialvilla des Goetheinstituts gelassen zu werden.

Schon wieder war eine Blase geplatzt.






















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