Meine neue Unterkunft



Wer sich unter einem Aufenthalt in Brasilien Ende Mai sonnige Tage und tropische Hitze vorstellt, den muss ich leider gleich doppelt enttäuschen:
1. Die Sonne geht um 17:15 Uhr unter – dann ist es stockfinster.
2. Es regnet – und zwar ziemlich regelmäßig und überraschend.

Sprich, es ist brasilianischer Winter. Dieser hat allerdings wenig mit dicken Felljacken und langen Hosen zu tun. Überall wo man hinschaut tragen die Menschen Flip Flops, kurze Shorts und bunte Gewänder. Und ich – der käsige Deutsche – habe mir heute den ersten Wintersonnenbrand meines Lebens eingefangen.
Ich bin im Goethe-Institut untergebracht, einer imposant restaurierten Kolonialvilla. Man könnte diese als "7 in 1 Haus" bezeichnen: Sie ist Bibliothek, Unterrichtsort, Verwaltungsgebäude, Theater, Galerie, Veranstaltungsort und Unterkunft in einem. Der Weg zu meinem Zimmer führt ein Treppenhaus hinauf, vorbei an vielen Büroräumen und mündet in einem überdachten Durchgang.

Die "Residency" Räume scheinen den feuchten Träumen eines Innenarchitekten entsprungen zu sein: weiße Wände, Klimaanlage mit Fernbedienung, modisches Regal auf Rollen, Duftstäbchen. Im Gemeinschaftsraum gibt es einen Multifunktionskühlschrank welcher sogar Bilder anzeigen kann. Immer wieder wird uns eingebläut, alles zu jeder Zeit abzuschließen. Vor dem Gebäude sind Wachen postiert, im Zimmer gibt es einen Safe. Ich muss mich kurz wieder an das Gefühl gewöhnen, nicht im sicheren Nest Deutschlands zu leben. Zugegebener Maßen fühle ich mich in dieser neuen Umgebung noch so fremd wie der kleine Kaktus, der links von meinem Laptop steht, also versuche ich erst einmal ein paar alltägliche Dinge zu erledigen – zum Beispiel einzukaufen.

Meine ersten Schritte nach draußen

Mein erster Fang: 4 Tüten voll gepackt mit saftigen Früchten. Kiloweise Bananen, Papayas, einer Ananas, eine gigantische Avokado. Ist es nicht schön, wie wenige Dinge man manchmal braucht um glücklich zu sein? Für die kommenden zwei Monaten habe ich mir schon jetzt das kleine persönliche Ziel gesetzt den perfekten Fruchtsmoothie zu entwickeln. Klingt das dekadent?
Vielleicht.
Aber ich darf das jetzt – ich bin offiziell eingeflogener Künstler.
Quasi wie eine Südfrucht, nur anders herum.
Nordsauerkraut – mit künstlerischem Konzept.

Ach, wie war das eigentlich noch einmal?
Innerhalb der letzten 10 Monate habe ich gefühlt 20 Exposés an Stiftungen geschickt. Da kommt es schon einmal vor, dass man den Wald vor lauter Papier übersieht. Mein Laptop sagt mir, dass es  irgend etwas mit Street-Art zu tun hat. Ich lese es mir drei Mal durch, dann erinnere ich mich wieder: Urbaner Kontext steht da und narrative Street-Art Installationen. Soso.
Klingt gar nicht so übel.

Noch fühle ich mich ein bisschen fremd in der Haut "des unabhängigen eigenständigen Künstlers". Vielleicht wegen dem Pathos den diese Arbeitsweise mit sich bringt. Vielleicht auch, weil ich meistens erst am Ende eines Projekts weiß, was ich da wirklich getan habe. Oder, weil mich plötzlich Leute anschauen und von mir erwarten, dass das was ich mache irgend einen Sinn ergibt. Dieses paar Schuhe ist mir wohl noch etwas zu groß. Da sehe ich mich lieber einfach als kreativen Arbeiter und messe meinen persönlichen Erfolg an der Qualität meiner Projekte – Leistungsgesellschaft und so weiter.

Da liege ich also in meinem neuem Bett und bemerke wie vor meiner Tür jemand fein säuberlich den Boden schrubbt und wahrscheinlich gerade die künstlerischen Überreste meiner Sandwichkrümel weg wischt. Ich werde nervös.
Wann kann ich endlich loslegen?

Das Team des Goethe-Instituts

Wir "Art-Residents" werden von einem Team von Organisator*innen des Goethe-Instituts betreut.
Namentlich: Wiebke, Felix, Maria, Julia und dem Chef – Manfred.
Vom ersten Moment an belauern sie uns mit gezückten Notizbüchern und bieten uns Ihre Unterstützung an.
Schon am zweiten Tag sitzen wir an einem ovalen Tisch und stellen unsere Projektideen vor. Man hört die Rädchen förmlich rattern, während sie sich Notizen machen und uns Kontaktpersonen, Veranstaltungen und interessante Orte vorschlagen. So werden wir dazu angehalten in den Austausch mit lokalen Akteuren der (Künstler)Szene in Kontakt zu treten und öffentliche Veranstaltungen – mit Ihrer Hilfe – zu realisieren. Dieses erste Treffen beenden sie mit den Worten: "Gebt uns ein paar Tage und wir versuchen diese Dinge zu klären". Ich bin beeindruckt. So ein produktives Treffen habe ich lange nicht mehr erlebt. In der Bibliothek werde ich gefragt, ob ein paar Bücher bestellt werden sollen, die wir als Handbibliothek benötigen. Wow.

Noch kommt mir das alles wie ein Traum vor.
Ich kann es kaum erwarten los zu legen.































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